Hoffnung auf normales Leben im Herbst

Klaus Hartinger
Ärztekammerpräsident Michael Jonas über die Corona-Pandemie.
Die Corona-Pandemie hat die Welt fest im Griff. Ist die Ärzteschaft nach dem Jahr 2020 am Rand der Belastbarkeit?
Michael Jonas: Nein, das ist sie nicht. Allerdings sind die Belastungen außerordentlich gestiegen, vor allem gefordert waren die Intensivmediziner.
Es wurde in der Vergangenheit immer wieder im Gesundheitssektor und auch bei Personal gespart. Wie wirkten sich diese Einsparungen auf die Bewältigung der Krise aus?
Jonas: Eigentlich kann das so nicht gesagt werden, denn nach Einführung einer EU-konformen Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzgebung 2015 wurden mehr Ärzte eingestellt. Dennoch kam es durch Pandemie-bedingte Ausfälle fallweise zu Personalengpässen, die jedoch bislang bewältigt werden konnten.
Sehen Sie die Lockerungen im Sommer als Fehler und hätte die Politik die Maßnahmen und Einschränkungen konsequenter verfolgen müssen?
Jonas: Im Nachhinein kann das angenommen werden, da sind ja alle schlauer. Doch zeichnete sich bereits im September eine Zunahme der Neuinfektionen ab und für uns Ärztinnen und Ärzte war eine Verschlechterung mit Beginn der kalten Jahreszeit in Analogie zu anderen Erkältungserkrankungen erwartbar und wir fürchteten die „zweite Welle“.
Wie erklären Sie den Menschen, dass es auch unter Medizinern solche gibt, die die Corona-Pandemie nicht ernst nehmen?
Jonas: Das kann man den Menschen nicht plausibel erklären, denn es widerspricht dem medizinischen Sachverstand. Die SARS-CoV-2-Infektion ist für 80 Prozent und somit einer deutlichen Mehrheit der Betroffenen relativ harmlos, aber für 20 Prozent der Infizierten eine schwere Erkrankung verbunden mit einer hohen Sterblichkeit. Die Sterblichkeit für über 70-Jährige beträgt etwa 5,3 Prozent. Der Bevölkerungsanteil dieser Altersgruppe beträgt in Österreich 1.243.000 Menschen und wenn es weder eine Therapie noch eine Impfung gäbe und allmählich im Verlauf der ungebremsten Pandemie alle infiziert werden würden, müssten wir mit 66.000 Pandemie-bedingten Sterbefällen in dieser Altersgruppe rechnen.
Nun gibt es einen Impfstoff. Wie sicher ist dieser aus Ihrer Sicht?
Jonas: Es ist ein Impfstoff mit sehr hoher Wirksamkeit. Zahlreiche weitere Impfstoffe sind in Entwicklung und werden im Verlauf des Jahres 2021 auf den Markt kommen. Noch nie in der Forschungsgeschichte wurden so viele Menschen im Rahmen einer Impfstoffentwicklung in Studien untersucht. Alle Studienergebnisse sind von unabhängigen Wissenschaftern sowie der Europäischen Arzneimittelbehörde geprüft worden und bescheinigen eine außerordentlich hohe Sicherheit. Die Ärzteschaft ist dankbar, dass dieser Impfstoff zum Schutz der Menschen vor einer Infektion zur Verfügung steht.
Warum ist die Impfskepsis in Österreich so groß?
Jonas: Viele Infektionserkrankungen sind durch das Kinderimpfprogramm nahezu verschwunden, wie etwa Pocken und Kinderlähmung. Grundsätzlich gibt es bei fast allen zugelassenen Impfstoffen nur wenige Nebenwirkungen. Wenn jedoch eine Erkrankung praktisch nicht mehr vorkommt, dann überwiegt bei den Menschen die Sorge vor allfälligen Nebenwirkungen. Auch die Masern mit einer relativ hohen Sterblichkeit wäre ausrottbar, flackert jedoch regional wegen der Impfmüdigkeit beziehungsweise -skepsis immer wieder auf, leider immer verbunden mit vermeidbaren Komplikationen und Todesfällen.
Welche Rolle spielen Ärzte prinzipiell bei der Aufklärung beziehungsweise im Kampf gegen Fake News das Virus aber auch die Impfung betreffend?
Jonas: Meiner Einschätzung nach spielen die Ärzte bei der Aufklärung über die Covid-Erkrankung, deren Behandlung und Impfung eine große Rolle. Täglich werden wir mit Falschinformationen, woher auch immer über Patienten konfrontiert und versuchen die tatsächlen Fakten zu erklären.
Wie hoch muss die Durchimpfungsrate sein, damit eine Wirkung erzielt wird und sind Sie für eine Impfpflicht?
Jonas: Am gefährdesten sind die über 70-Jährigen, hier wäre ein möglichst einhundertprozentige Durchimpfung wünschenswert, womit eine hohe Sterblichkeit und auch eine Überlastung des Gesundheitssystems vermieden werden könnte. Um die Pandemie zum Erliegen zu bringen müsste eine sogenannte Herdenimmunität erreicht werden, das heißt eine Durchimpfungsrate von zwei Drittel der Gesamtbevölkerung. Eine Impfpflicht ist meiner Meinung nach kontraproduktiv, zumindest muss versucht werden durch Aufklärung die Menschen zu überzeugen.
Wie lange wird es dauern, bis wir wieder ein normales Leben führen können?
Jonas: Ich hoffe, dass dies bis zum Herbst möglich wird.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Gesundheit der Bevölkerung in Bezug auf ausgefallene Vorsorgeuntersuchungen, aufgeschobene Operationen, fehlende Bewegung und ähnliches?
Jonas: In Vorarlberg dürften ausgefallene Vorsorgeuntersuchungen zum größten Teil bereits wieder nachgeholt worden sein. Dringliche Operationen wurden immer durchgeführt, nicht so dringliche planbare Operationen betreffen primär die Lebensqualität und sind je nach Belastung der Krankenhäuser durch Covid-Patienten verschoben werden, eine vitale Auswirkung auf die Gesundheit der Bevölkerung hat dies nicht. Die seelische Gesundheit leidet während der Pandemie mit Sicherheit.
Ob die Pandemie zu einem allgemeinen Bewegungsmangel der Bevölkerung führt, kann ich nicht bestätigen, aber auch nicht ausschließen. Diese hätte jedoch nur über einen längeren Zeitraum von Jahren einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit.
Welche Lehren zieht die Vorarlberger Ärzteschaft aus der Corona-Pandemie?
Jonas: In Krisenzeiten ist Solidarität, Flexibilität und Ausdauer sowie Einsatzbereitschaft auf allen Ebenen erforderlich und wird zum überwiegenden Teil auch gelebt.
Zur Person
MR Doktor Michael Jonas
steht der Vorarlberger Ärztekammer seit Juli 2011 vor. Seit 1992 ist Michael Jonas als Facharzt für Innere Medizin in Dornbirn tätig und führt eine große kassenärztliche Praxis. Jonas war viele Jahre lang Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte sowie Vizepräsident der Ärztekammer für Vorarlberg. In der Kollegenschaft genießt Jonas hohes Ansehen. Im März 2012 hat ihm Landeshauptmann Markus Wallner den Berufstitel „Medizinalrat“ verliehen.