„Arbeitnehmer zu wenig berücksichtigt“

Hubert Hämmerle im Interview über Corona und Herausforderungen.
Sind Sie vom Coronavirus bislang verschont geblieben?
Hubert Hämmerle: Meine Familie war betroffen. Zuerst war meine Frau positiv, weshalb wir alle in Quarantäne mussten. In dieser Zeit haben sich meine Tochter und einer meiner Söhne angesteckt. Letzterer hat es leicht gespürt, meine Tochter hatte nicht ein kleines Symptom. Mein jüngerer Sohn und ich haben uns nicht infiziert.
Wie hat Corona die Arbeit der AK verändert?
Hämmerle: Es war ein schwieriges Jahr. Das gesamte Team der AK war sehr gefordert, weil laufend neue Dinge auf uns eingeprasselt sind und zugleich sehr viele Leute bei uns angerufen haben, die verständlicherweise wissen wollten, was jetzt Sache ist. Die Herausforderung war, die Qualität der Beratung hoch zu halten. Zum anderen mussten wir schnell Hilfsmaßnahmen wie etwa den Härtefonds setzen.
Mit welchen Anliegen und Problemen sind die Arbeitnehmer im vergangenen Jahr zur Arbeiterkammer gekommen?
Hämmerle: Viele Menschen haben wegen Corona ihre Arbeit verloren oder mussten in Kurzarbeit. Da waren dann die üblichen arbeitsrechtlichen Beratungen notwendig. Es gab sehr viele Ängste und Sorgen. Später hatten wir viele Anfragen im Konsumentenschutz, etwa was Reisestornierungen betrifft, oder das Einkaufen im Internet.

Inwieweit ist die AK selbst ist von der Krise betroffen?
Hämmerle: Aufgrund von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit verlieren wir natürlich Beiträge aus der Kammerumlage. Wir müssen uns nach der Decke strecken. Es gibt Überlegungen, gewisse Stellen nicht mehr nachzubesetzen.
Gab es bei der Arbeiterkammer Kurzarbeit?
Hämmerle: Im Bildungsbereich schon. Bei uns im Haus nicht, da die Beratungen mit Beginn der Pandemie enorm angestiegen sind. Im April 2020 waren es doppelt so viele wie im Vergleichsmonat des Vorjahres.
Teleworking bzw. Homeoffice hat seit Beginn der Pandemie eine völlig neue Dimension erreicht. Viele Menschen arbeiten zu Hause. Eine gesetzliche Regelung zur Übernahme der nötigen Unkosten am Heimarbeitsplatz fehlt aber noch immer. Warum ist da noch nichts passiert?
Hämmerle: Diesbezüglich gibt es aktuell Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern. Da haben Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter natürlich verschiedene Sichtweisen. Wir müssen hier aber einen gemeinsamen Weg finden. Wesentlich für uns ist die Freiwilligkeit. Der Arbeitnehmer darf nicht irgendwann hören: Es gibt nur noch Homeoffice und keinen Arbeitsplatz im Betrieb mehr. Darüber hinaus hat nicht jeder die Möglichkeit, gut von zu Hause aus zu arbeiten. Es muss bei Homeoffice gewährleistet sein, dass entweder der Arbeitgeber die Arbeitsmittel zur Verfügung stellt oder eine Ablöse für private Geräte und eine Entschädigung für zusätzliche Aufwände zu zahlen hat.
Zur person
Hubert Hämmerle, geboren am 23. Juni 1961 in Lustenau, ist Gewerkschaftsfunktionär (ÖAAB/FCG) und seit 2006 Präsident der Arbeiterkammer Vorarlberg.
Vielfach war in der Krise von den Helden des Alltags die Rede. Die Arbeiterkammer forderte bessere Löhne und Gehälter für systemrelevante Arbeitskräfte wie Supermarkt-Kassierinnen und Pflegerinnen. Getan hat sich hier aber nichts.
Hämmerle: Da ist nichts passiert. Man hat gewusst, dass diese Menschen stark unter Belastung stehen und sich einem hohen Ansteckungsrisiko aussetzen. Man hat sie beklatscht, aber gemacht wurde nichts. Einige private Firmen haben auf Basis steuerlicher Begünstigungen einen Bonus ausbezahlt. Eine generelle Regelung gab es aber trotz unserer massiven Forderungen nicht.
Wie beurteilen Sie die Corona-Hilfen generell?
Hämmerle: Es wird eine Wirtschaftsförderung nach der anderen aus dem Hut gezaubert. Das ist auch recht so, weil man damit auch die Arbeitslosigkeit bekämpft. Aber es gibt auch die Arbeitnehmer, viele sind in eine Krise geschlittert – und zwar in eine wirtschaftliche und soziale. Das wird von der Bundesregierung und teilweise auch vom Land zu wenig berücksichtigt.
Wo liegt das Hauptproblem?
Hämmerle: Viele können vom Arbeitslosengeld nicht leben. Die Hälfte der Arbeitslosen erhält unter 927 Euro im Monat. Besonders schlimm ist es für Familien, in denen beide Elternteile arbeitslos sind, oder für Alleinerziehende. Die Nettoersatzrate muss auf 70 Prozent angehoben werden.
Allgemein wird befürchtet, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen erst im nächsten Jahr so richtig spürbar werden.
Hämmerle: Da müssen wir uns auf die Einschätzungen der Wirtschaftsforscher verlassen. Die Zahlen schauen nicht gut aus. Die Arbeitslosenzahlen werden wohl noch einmal steigen.
Die Aufarbeitung der Krise ist zum parteipolitischen Zankapfel geworden. Was sagen Sie dazu, und wie beurteilen Sie das politische Klima?
Hämmerle: ich möchte vorab kurz auf das politische Klima innerhalb der Arbeiterkammer eingehen. Viele wichtige Dinge wie den Härtefonds haben wir einstimmig beschlossen. Da ziehen bei uns alle an einem Strang, auch wenn wir aus verschiedenen politischen Lagern kommen. Auf Bundesebene ist mir die ÖVP zu wirtschaftslastig, das habe ich schon öfters gesagt. Im Land ist es ein bisschen besser, aber ich hätte mir gewünscht, dass man sich mehr für die Arbeitnehmer einsetzt, etwa bei der Hacklerregelung. Da habe ich kein Wort gehört. Ein Landeshauptmann, der Arbeitnehmerpolitik ernst nimmt, muss da was sagen.

Ein Blick in die Zukunft: Die verfügbare Arbeitszeit wird immer weniger, zugleich steigt die Produktivität in der Sachgüterindustrie. Wie muss die Arbeit künftig verteilt werden.
Hämmerle: ich denke nicht, dass es im Gesamten weniger Arbeit geben wird. Aber sie wird sich verschieben. Ich kann mich noch erinnern, wie es im Zuge der Automatisierung geheißen hat, dass es bald keine Arbeit mehr geben wird. Das war aber nicht der Fall. Die Folge war, dass es deutlich mehr qualifizierte Arbeitskräfte benötigte und weniger Hilfsarbeiter. Dasselbe passiert jetzt bei der Digitalisierung, nur viel schneller und auf einem höheren Niveau. Das heißt, dass nicht qualifizierte Arbeitskräfte in der Produktion immer weniger gebraucht werden. Deshalb müssen wir diese Menschen dazu bringen, sich kontinuierlich weiterzubilden. Sonst sind sie irgendwann nicht mehr vermittelbar.
Und was muss sich steuerlich ändern?
Hämmerle: Wir kämpfen schon lange für ein neues Steuersystem. Vermögen und große Erbschaften müssen stärker besteuert werden. Da haben wir in Österreich eine viel zu geringe Besteuerung – auch im europäischen Schnitt. Jene, die – mit was auch immer – das große Geld verdienen, müssen in Zukunft ihren Beitrag leisten.