„Der Arbeitsmarkt ist schwierig“

AMS-Chef Bernhard Bereuter über die aktuelle Situation in Vorarlberg.
Haben Sie sich vorstellen können, dass Sie als Vorarlberger AMS-Chef die vermutlich schwerste Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte bewältigen müssen?
Bernhard Bereuter: Nein. Wenn ich an Anfang März zurückdenke, da hatten wir noch eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung. Es gab über 170.000 Beschäftigte, und die Wirtschaft ist eigentlich sehr gut gelaufen. Die Prognosen gingen zwar schon davon aus, dass sie sich nicht mehr so dynamisch entwickelt und die Arbeitslosigkeit ganz leicht steigen wird, so um etwa 300 Personen im Jahresschnitt. Damals waren wir sehr weit davon entfernt, uns dieses Szenario vorstellen zu können.
Mit knapp 16.800 gab es Ende Mai in Vorarlberg fast 80 Prozent mehr Arbeitslose als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Welche Altersklassen und Branchen sind am meisten betroffen?
Bereuter: on den Branchen her waren vor allem Hotellerie, Gastronomie und der Handel aufgrund der Betriebsschließungen stark betroffen und generell Hilfstätigkeiten. Letzteres hängt teilweise mit Personalüberlassungsvermittlern zusammen: Wenn die Unternehmen keine Aufträge mehr haben, sind das meistens die ersten, die freigesetzt werden.
Die Geschäfte haben ja schon länger wieder offen …
Bereuter: Ja, wobei der Lebensmittelhandel ja die ganze Zeit über offen hatte. Wir sind jetzt zwar in der Aufbauphase, bei der es darum geht, die Wirtschaft wieder hochzufahren, aber die Dynamik ist bei Weitem noch nicht so wie vor der Krise – speziell im Gastgewerbe. Durch die Lockerungen gibt es zwar wieder weniger Arbeitslose als im Vormonat, aber auf einem hohen Niveau von Arbeitslosigkeit.

Und altersmäßig?
Bereuter: Da waren bis 19-Jährige stark betroffen. Auch deswegen, weil wir mit 16. März alle Schulungsangebote, die überbetrieblichen Ausbildungszentren, also die Übergänge von Schule in den Beruf, eingestellt haben. Aber wir hatten quer durch alle Altersgruppen deutlich mehr Arbeitslose als im Vorjahr.
Haben Sie Jobangebote für diese Menschen?
Bereuter: Angebote sind vorhanden, aber deutlich weniger als im Vorjahr. Es kommen mehr Personen auf eine freie Stelle. Die Konkurrenz ist größer geworden. Es kommen derzeit nicht mehr viele Arbeitslose dazu, aber es kommen auch wenige in Beschäftigung. Wir haben deutlich weniger Beschäftigungsaufnahmen als in einer Zeit, in der die Konjunktur gut läuft.
Wie viel Geld zusätzlich brauchen Sie?
Bereuter: Das ist schwierig zu sagen und hängt von mehreren Faktoren ab. Das Land hat Impuls- und Konjunkturprogramme präsentiert. Da wird man sehen, wie stark sich das auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Man muss auch schauen, welche Auswirkungen die Lockerungen haben. Gespürt haben wir etwa die Öffnungen der Gastronomie, die Arbeitslosenzahlen in diesem Bereich sind da gleich zurückgegangen, und dann sind auch die globalen Entwicklungen wichtig, weil wir ein stark exportorientiertes Land sind.

Was machen Sie mit den Jugendlichen?
Bereuter: ereinbart. Ihre Zahl an Arbeitslosen ist gestiegen, und es gibt Tendenzen, dass im Herbst nicht mehr so viele Lehrstellen angeboten werden. Mit den überbetrieblichen Ausbildungszentren wollen wir die Lehrstellenförderung unterstützen. Prinzipiell müssen wir aber davon ausgehen, dass aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktsituation die Jobsuche länger dauern wird. Da ist es sinnvoll, sich nebenbei zu qualifizieren. Daher haben wir mit dem Land vereinbart, dass wir diese Kurse bezahlen. Weiters rechnen wir damit, dass wir für Personen, die sich vorher schon schwer getan haben, auch spezielle Angebote schaffen müssen. Da kommen etwa auch die sozialökonomischen Betriebe ins Spiel.
Gibt es konkrete Zahlen?
Bereuter: für eine Zusatzqualifikation hat das AMS heuer 600.000 Euro budgetiert. Vom Land kommen 300.000 Euro, wobei dort gesagt wurde, dass sie im Herbst gesprächsbereit seien, sollte es nicht reichen. Bei der Lehrstellenförderung für benachteiligte Jugendliche haben wir drei Millionen budgetiert, eine weitere kommt vom Land. Nächste Woche haben wir Gespräche mit Wirtschaftslandesrat Marco Tittler und Vertretern der sozialökonomischen Unternehmen, ob wir in dem Bereich noch was tun müssen. Und bei den überbetrieblichen Ausbildungszentren, wo es derzeit 146 Plätze gibt, gibt es Signale vom Land, dass diese bei Bedarf erhöht werden können.
Wenn ich Sie vorher richtig verstanden habe, dann gehen Sie auch davon aus, dass die Langzeitarbeitslosigkeit zunehmen wird?
Bereuter: Ja, weil die Situation auf dem Arbeitsmarkt deutlich schwächer ist. Allein durch die Krise sind jetzt ein paar Monate vergangen, und Menschen, die vorher schon acht, neun, zehn Monate arbeitslos waren, sind es dann bald über ein Jahr und damit langzeitbeschäftigungslos. Bei der Integration am Arbeitsmarkt ist aber auch immer die Dauer der Arbeitslosigkeit wichtig.

Wie wird die Entwicklung am Arbeitsmarkt über den Sommer weitergehen?
Bereuter: Wir rechnen damit, dass die Arbeitslosigkeit im Monatsvergleich sinken wird, aber es ist schwierig zu sagen, um wie viel. Wir haben jetzt einen Rückgang im Vergleich zum Vormonat, also von April auf Mai, von gut 1130 Personen und davon über 600 Personen im Bereich Gastronomie. Wir gehen aber davon aus, dass wir auch bis Jahresende deutlich über dem Vorjahresniveau sein werden. Das Vorkrisenniveau werden wir länger nicht erreichen.
Es ist also auch für den Herbst keine Normalisierung in Sicht?
Bereuter: Nicht auf dem vorherigen Niveau. Wir sind ursprünglich von heuer im Jahresdurchschnitt rund 9700 Arbeitslosen monatlich ausgegangen. Aktuell haben wir über 16.700, und auch wenn wir auf 12.000 oder so runterkommen, sind wir im Jahresdurchschnitt deutlich über dem Vorkrisenniveau. Falls nicht Unvorhergesehenes kommt, rechne ich schon mit einer langsamen Erholung des Arbeitsmarkts, aber man spürt die Zurückhaltung.
Inwiefern?
Bereuter: Die Unternehmen sind verunsichert. Wir merken das bei der Kurzarbeit: Tendenziell wird sicherheitshalber noch verlängert, weil man nicht genau weiß, wie es sich insgesamt entwickelt. Dazu kommt, dass Sommermonate immer eher ruhigere Monate sind, weil normalerweise viele Unternehmen Betriebsurlaube haben. Aus meiner Sicht ist es jetzt wirklich wichtig, dass Menschen, die auf Jobsuche sind, die Zeit parallel zur Qualifizierung nutzen. Dadurch haben sie einfach einen Wettbewerbsvorteil, wenn der Markt wieder besser ist.
Wie lange, glauben Sie, werden die Auswirkungen am Arbeitsmarkt spürbar sein?
Bereuter: Mehrere Jahre. Heuer dürfte sich bei der wirtschaftlichen Entwicklung kein Plus mehr ausgehen. 2021 könnte eine positive Entwicklung da sein, wobei der Arbeitsmarkt immer zeitverzögert reagiert. In der zweiten Jahreshälfte 2021 sind vielleicht stärkere positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt möglich. Monatlich wird es sich schon auswirken, weil wir mit über 17.000 Arbeitslosen im April ein sehr hohes Niveau hatten. Einen Teil kann man sicher aufholen, aber das vorherige Niveau ist nicht zu erreichen.
Bis wann ist das zu erreichen?
Bereuter: Bei Krisen ist es immer so, dass der Sockel der Arbeitslosigkeit danach höher ist. Wir werden uns dem Vorkrisenniveau annähern, aber im Jahresschnitt werden die Arbeitslosenzahlen höher bleiben.
Was halten Sie eigentlich von einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes, die jetzt diskutiert wird?
Bereuter: Das ist natürlich eine politische Entscheidung, aber ich denke, dass eine Erhöhung aufgrund der aktuellen Situation und der verminderten Chancen am Arbeitsmarkt positive Effekte in Richtung Inlandskonsum haben kann. Und der ist dann wieder ein Treiber in Hinblick auf eine Wirtschaftsdynamik. Die derzeitige Nettoersatzrate von ungefähr 60 Prozent stellt einen gewaltigen Einkommensverlust dar. Wir sind ja auch mit der Schuldenberatung in Kontakt und wissen, dass eine Hauptursache für Überschuldung Arbeitslosigkeit ist.
Eine Erhöhung ist also sinnvoll?
Bereuter: Eine Diskussion darüber ist richtig. Man muss aber das Gesamtpaket gut anschauen, weil der Anreiz in Richtung Beschäftigung erhalten bleiben muss. Da ist es vielleicht interessant, das Arbeitslosengeld stufenweise zu gestalten, am Anfang mehr und dann weniger. Über eine Erhöhung wurde ja schon öfter nachgedacht, aber eine Diskussion Anfang März wäre eine ganz andere gewesen als jetzt. Wenn es so wie jetzt am Arbeitsmarkt keine oder nur sehr geringe Chancen gibt, muss eine Existenzsicherung gegeben sein. Die Situation ist ja nicht von den einzelnen Menschen verschuldet worden. In der Diskussion ist auch von einer zeitlichen Befristung die Rede. Man müsste eine eventuelle Erhöhung dann vielleicht nächstes Jahr evaluieren und neu diskutieren, weil der Arbeitsmarkt eine sehr wichtige Rolle spielt.